Pflege studieren im Allgäu

Pflegefachpersonen leisten jeden Tag eine wertvolle Arbeit für die Gesundheit. In der Covid-19-Pandemie wurde das deutlich. Die Bilder von invasiv beatmeten Patienten führten auch vor Augen, dass Pflegefachpersonen auch in hochspezialisierten Bereichen arbeiten, die ein fundiertes wissenschaftsbasiertes Wissen und praktische Kompetenzen erfordern.

Zum Wintersemester 2021/22 startet die Hochschule Kempten mit einem neuen Studiengang: dem Bachelor of Science in Pflege. Es ist der erste Studiengang in der Region, der eine rein hochschulische Pflegeausbildung nach dem Pflegeberufegesetz ermöglicht. Es ist uns damit gelungen, einen Beruf mit Zukunft als Studiengang an die Hochschule Kempten zu bringen. In einer hochschulisch qualifizierten Pflege verbindet sich die Nähe zu Menschen mit wissenschaftlichen Kompetenzen. Das berufsqualifizierende Pflegestudium ist ein wichtiger Schritt für die deutsche Pflege, die damit bereits in der Grundausbildung einen fundierten Zugriff auf die Ergebnisse der internationalen Pflegeforschung erhält. Zudem ist es für die Absolventen einfacher, sich beruflich weiter zu qualifizieren. Viele Karrieremöglichkeiten in der Pflege setzen bereits heute ein Studium voraus.

Qeulle: International Coucil of Nurses (https://2020.icnvoicetolead.com)

Als ich vor einem Jahr mit der Studiengangsentwicklung begann, hatte die Hochschule Kempten zwei Professorinnen für Pflege und einen Studiengang für Gerontologische Therapie, Rehabilitation und Pflege. Ein duales Pflegestudium, das an vielen Hochschulen bereits seit Jahren in Kooperation mit Berufsfachschulen für Pflege angeboten wird, gab es in Kempten nicht. Wir mussten also von Null anfangen und ein Konzept entwickeln, die den Vorgaben des Pflegeberufegesetzes entspricht und zugleich ein attraktives Hochschulstudium mit soliden wissenschaftlichen Grundkompetenzen vermittelt. Diesen Monat haben wir für unser Studiengangskonzept nun die Genehmigung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege erhalten. Damit haben wir einen wichtigen Meilenstein geschafft.

Erste Informationen zu unserem berufsqualifizierenden Bachelorstudiengang Pflege haben wir bereits auf der Homepage der Hochschule Kempten.

Wenn ein Lockdown zu Einsamkeit führt

Seit Dezember 2019 führte die Infektionskrankheit COVID-19 („coronavirus 2019“) zu einer Pandemie auf die weltweit mit Einschränkungen des sozialen Lebens reagiert wurde. Die Menschen sollen Abstand zueinander halten und ihre sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Diese gezielte soziale Isolation dient der Infektionsprävention. Eine soziale Isolation, die aber im Gegensatz zum Alleinsein nicht selbst gewählt wurde, ist aber auch ein erheblicher Risikofaktor für Einsamkeit. Jenem schmerzlichen Gefühl mangelnder sozialer Bindung, das mitunter so belastend erlebt wird, dass es zu psychosomatischen Erkrankungen beitragen kann. Die Folgen reichen von Herzerkrankungen bis zu einer Depression.

Bei vergleichbaren Maßnahmen der sozialen Kontaktreduktion im Zusammenhang mit SARS- oder MERS-Ausbrüchen beschrieben verschiedene Studien negative psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen (Röhr et al., 2020). Neben Depressivität, Ängstlichkeit, Wut, Stress oder posttraumatischen Belastungen berichteten Betroffene auch über das belastende Gefühl von Einsamkeit. Einzelne Studien wiesen solche psychosoziale Belastungen sogar bis zu drei Jahren nach den Maßnahmen nach.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich der Landtag in Nordrhein-Westfalen gerade in Zeiten gezielter sozialer Isolierung und Quarantänemaßnahmen zu einer Enquetekommission mit dem Thema „Einsamkeit“ – Bekämpfung sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen und der daraus resultierenden physischen und psychischen Folgen auf die Gesundheit beschäftigt. Die Enquetekommission wurde noch vor Corona eingerichtet und erreicht nun plötzlich allerhöchste Aktualität. Im Zuge der Anhörung von Sachverständigen finden Sie meine schriftliche Stellungnahme zum Themenfeld „Rolle von medizinischem Fachpersonal“: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3349.pdf

Literatur
Röhr, S., Müller, F., Jung, F., Apfelbacher, C., Seidler, A., & Riedel-Heller, S. G. (2020). Psychosoziale Folgen von Quarantänemaßnahmen bei schwerwiegenden Coronavirus-Ausbrüchen: Ein Rapid Review. Psychiatrische Praxis, 47(04), 179–189. https://doi.org/10.1055/a-1159-5562


Rezension: Kollegiale Beratung für Gesundheitsberufe

Fast alle, die eine Weiterbildung in der Pflege absolviert haben, kennen die Methode der Kollegialen Beratung und auch in der Ausbildung findet diese lösungsorientierte Problembearbeitung immer mehr Anwendung. Die systemische Beraterin und gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin Marion Roddewig hat nun ein Anleitungsprogramm veröffentlicht, das auf ihrer Promotion zum Thema Kollegiale Beratung in der Ausbildung von Pflegenden basiert.

Mit dem Anleitungsprogramm können Lehrende die Kollegiale Beratung in 11 Sitzungen vermitteln. Die Sitzungen haben verschiedene Schwerpunkte:

  1. Einführung in die Kollegiale Beratung
  2. Kooperation und Zusammenarbeit
  3. Vertrauen und Offenheit in der Beratungsgruppe
  4. Festigung des Vertrauens
  5. Grundlegende Beratungskompetenz
  6. Beratungsmethode: Brainstorming
  7. Methode: Rollenspiel
  8. Methode: Skulptur
  9. Methode: Rollenhut
  10. Methode: System-Struktur-Zeichnung
  11. Methode: Reflecting Team

Die Leitfäden und Arbeitsblätter gibt es auch als Download bei Mabuse.de.

Rezension: Das Anleitungsprogramm ist gut strukturiert und leicht verständlich geschrieben. Es ist vor allem für Lehrende, die ein Unterrichtskonzept zur Kollegialen Beratung suchen empfehlenswert. Ich hätte mir an einigen Stellen mehr theoretische Tiefe gewünscht. Meine ausführliche Besprechung finden Sie bei sociealnet.de.

Bewertung: 4 Sterne ****

Marion Roddewig (2929). Kollegiale Beratung für Gesundheitsberufe. Ein Anleitungsprogramm. Mabuse-Verlag. Frankfurt a. M.
ISBN: 9783863214029

Die neuen Pflegestudiengänge starten

In diesem Wintersemester beginnt an vielen Hochschulen ein neuer Abschnitt der Akademisierung Pflegender. Das Pflegeberufegesetz von 2020 regelt erstmals ein primärqualifizierendes Studium der Pflegepraxis. Damit soll eine Empfehlung des Wissenschaftsrats von 2012 umgesetzt werden, die einen Anteil von 10 % bis 20 % Pflegenden mit akademischer Ausbildung in der personenbezogenen Pflege empfiehlt. Acht Jahre nach deren Veröffentlichung gibt es dazu endlich eine gesetzliche Regelung und die Bundesländer sind gehalten, ausreichend Studienplätze zu schaffen, um eine akademische Pflegeausbildung zu ermöglichen.

Phasen der Akademisierung von Pflege

Das neue Pflegeberufegesetz hat die Bildungslandschaft in der Pflege verändert. Erstmals ist ein reguläres primärqualifizierendes Pflegestudium an Hochschulen vorgesehen. Im Unterschied zur beruflichen Bildung tragen die Hochschulen beim Pflegestudium die Gesamtverantwortung für die theoretische und praktische Ausbildung der Studierenden. Das ist ein deutlicher Unterschied zur beruflichen Bildung, in der es eine Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Berufsfachschule und Praxiseinrichtungen gibt.

Offene Fragen für Studierende

Die zukünftigen Studierenden lassen sich auf ein Studium ein, das oft ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr länger dauert, als die berufliche Bildung. Ihre Praxisausbildung hat maximal 200 Praxisstunden weniger als die der beruflichen Ausbildung. Trotz dieses Aufwandes erhalten keine Ausbildungsvergütung. Im Gegenteil, da es sich um Praktika im Rahmen ihrer Hochschulausbildung handelt, sind die Praxiseinrichtungen nicht verpflichtet den Pflegestudierenden ein Entgelt zu bezahlen. Auch ein Zuverdienst in den Semesterferien wird schwierig, da Praxismodule auch in den „Semesterferien“ stattfinden. Ein attraktives Studium sieht anders aus.

Bisher gibt es auch noch kein eindeutiges Rollenprofil für die Absolventen. Scheydt und Holzke (2018) fassen die Pflegefachpersonen mit beruflicher Ausbildung und Pflegefachpersonen mit Bachelor-Studium in eine Kompetenzstufe mit unterschiedlicher Qualifikation. Sie lassen die Frage unbeantwortet, warum es ein Studium braucht, wenn es in die gleiche Kompetenzstufe führt? Es bleibt also den einzelnen Einrichtungen überlassen, inwiefern es ihnen gelingt attraktive Arbeitsplätze zu schaffen.

Rolle der Psychiatrie im Pflegestudium

Im Gegensatz zu England gibt es in Deutschland kein primärqualifizierendes Studium der psychiatrischen Pflege. In der neuen, generalistischen Pflegeausbildung ist die psychiatrische Pflege lediglich ein kleiner Baustein. In den Rahmenlehrplänen der Fachkommission nach § 53 des Pflegeberufegesetzes ist für die Psychiatrie eine von elf Curriculare Einheiten vorgesehen. Unglücklicherweise wurde die Curriculare Einheit „Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen und kognitiven Beeinträchtigungen“ genannt. Damit wird ein altes Vorurteil bedient, dass psychische Gesundheitsprobleme und kognitive Beeinträchtigungen eng beieinander liegen.

In der praktischen Ausbildung ist das Bild noch düsterer. In der beruflichen Bildung sind lediglich 120 Stunden für die Psychiatrie vorgesehen. Das sind gerade mal drei Wochen Praxiseinsatz. Hier könnten die Hochschulen andere Schwerpunkte setzen, da sie mehr Freiheiten für die Planung der praktischen Einsätze haben. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Schwerpunkt seiner praktischen Ausbildung in der Psychiatrie zu absolvieren, was nach einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit im Jahre 2019 fraglich schien. Nach einem breiten Protest, an dem sich auch die DFPP beteiligte, wurde das Gesetz hier nachgebessert.

Offene Fragen der Zukunft

Mit der Schaffung eines Bildungssystems, in dem berufliche Bildung und Studium fast identisch nebeneinander stehen sind verschiedene Probleme verbunden. Worin unterscheiden sich die Absolventen in der Praxis? Wie können die Pflegefachpersonen für den Fachbereich Psychiatrie qualifiziert werden? Ist die Fachweiterbildung Psychiatrie hier noch eine zeitgemäße Qualifizierung, die auch für Absolventen eines Pflegestudiums geeignet ist?

Eine Arbeitsgruppe Bildung der DFPP beschäftigt sich gerade mit diesen Fragen.

Dieser Text ist zuerst auf den DFPP-Verbandsseiten in der Zeitschrift Psychiatrische Pflege erschienen.

Literatur
Scheydt, D. S., & Holzke, M. (2018). Erweiterte psychiatrische Pflegepraxis. Pflegewissenschaft, 10(3/4), 146–154.