Vor ziemlich genau einem Jahr stürzte eine Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ab. Kurz nach dem Unglück, bei dem 150 Menschen ums Leben kamen, wurde bekannt, dass der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich gegen den Berg geflogen hatte. Er litt an einer Depression und wollte sich offenbar suizidieren. Das Unglück führte zu einer breiten öffentlichen Diskussion über die Gefährlichkeit psychischer Erkrankungen und zu Überlegungen, Piloten mit psychischer Erkrankung die Flugerlaubnis zu entziehen. Immer wieder wird über psychische Erkrankungen in Zusammenhang mit Gewalt berichtet. Man denke nur an die Attentate gegen Lafontaine oder Schäuble oder den Amoklauf eines Jugendlichen in Winnenden.
Psychische Erkrankung und Gewalt, ist offenbar eine Verbindung, die sich einprägt. So verfestigen sich Vorurteile, die zur Stigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen. Doch gerade diese Stigmatisierung psychischer Erkrankungen behindert das Aufsuchen psychischer Hilfen und die Inanspruchnahme der Therapie behindert [1]. Was überlegt sich ein Pilot, der eine psychische Erkrankung bei sich befürchtet, wenn er weiß, dass ihn die Diagnose seine Flugerlaubnis kosten könnte? Die Gefahr ist groß, dass er nicht zum Arzt geht, um der Diagnose einer psychischen Erkrankung zu entgehen.
Nach der Durchsicht der aktuellen Forschungsliteratur kommen Maier und Kollegen im Nervenarzt 1/2016 [2] zum Schluss, dass ein erweiterter Suizid bei einer Depression extrem selten ist. Wenn es zu Gewalttaten in Verbindung mit psychischen Erkrankungen kommt, dann ist häufig Alkohol Spiel. Unter Alkohol werden aber auch gesunde Menschen häufiger aggressiv. Ein weiterer „Risikofaktor“ scheint die Persönlichkeit zu sein. Es gibt Menschen, die eher zu gewalttätigem Verhalten neigen als andere. Auch das sieht man bei Gesunden. Zu den eindeutigen „Risikofaktoren“ für Gewaltverhalten bei psychischen Erkrankungen zählt auch das männliche Geschlecht. Am deutlichsten ist der Zusammenhang zwischen Erkrankung und Gewaltverhalten noch bei Menschen, die einer schizophrenen Störung leiden. Wahngedanken, die zu einer wütend-gereizten Stimmung führen, führen häufiger zu Gewaltverhalten. Allerdings bessert sich dies sobald die betreffenden Personen sich psychiatrisch behandeln lassen.
Die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, reduziert also das Risiko für Gewaltverhalten bei psychischen Erkrankungen. Gleichzeitig behindert deren Stigmatisierung das Aufsuchen professioneller Hilfen. Ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer ausbrechen kann. Wenn wir Gewaltverhalten von Menschen mit psychischen Erkrankungen reduzieren wollen, sollten wir uns daher auch über deren Ent-Stigmatisierung Gedanken machen.
Literatur
- Corrigan, P. (2004). How Stigma Interferes With Mental Health Care. American Psychologist, 59(7), 614–625. http://doi.org/10.1037/0003-066X.59.7.614
- Maier, W., Hauth, I., Berger, M., & Saß, H. (2016). Zwischenmenschliche Gewalt im Kontext affektiver und psychotischer Störungen. Der Nervenarzt, 87(1), 53–68. http://doi.org/10.1007/s00115-015-0040-6