„Einfach Gruppen leiten“ auf Suchtstationen?

Sucht

Ursprünglich hochgeladen von franziska3000

Vom 25. bis 28. Januar 2009 findet im Kloster Irsee die 10. Fachtagung der Pflege suchtkranker Menschen statt. Die Tagung steht diesmal unter dem Motto: „Tradition – Sucht – Wandel“. Am Dienstag gestalte ich zusammen mit Wolfgang Herb einen Workshop zu Thema „Einfach Gruppen leiten“.

Viele Pflegende kennen die Frage: „Machst Du heute die Gruppe?“ Und viele sind erleichtert, wenn sie „die Gruppe“ nicht machen müssen. Dabei ist die Arbeit mit Gruppen, gerade auch in der Pflege suchtkranker Menschen immer wieder lehrreich und spannend für alle Beteiligten, Patienten und Mitarbeiter. Allerdings findet man in den Suchtstationen oft auch so genannte „Pflichtgruppen“, die dann teilweise für Mitarbeiter und Patienten zur Qual werden. In unserem Workshop wollen wir die Teilnehmer vor allem für zwei zentrale Fragen in Gruppe sensibilisieren (vgl. Sader, 2000):

  1. Warum machen wir die Gruppe? oder aus Sicht der Patienten: „Was sollen wir hier?“
  2. Was haben die Teilnehmer gemeinsam? oder aus Sicht der Patienten: „Warum gerade wir?“

Das sind Fragen, die man sich als Gruppenleiter einer therapeutischen oder pflegerischen Gruppe, immer wieder stellen sollte. Ein „Gruppe“ ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn den Teilnehmern das Ziel der gemeinsamen therapeutischen Arbeit deutlich ist und sie darüber miteinander ins Gespräch kommen, denn „das zielgerichtete Miteinander ist die wesentliche und hinreichende Voraussetzung, um von ‚Gruppe‘ sprechen zu können.“ (STAHL 2002).

In unserem Workshop wollen wir die Teilnehmer aber auch wieder, in Fallberatungen und Rollenspielen, viel ausprobieren lassen und die ein oder andere Frage gemeinsam klären.

Literatur:

Stahl, E. (2002). Dynamik in Gruppen: Handbuch der Gruppenleitung (1. Aufl.). Weinheim: Beltz PVU.

Sader, M. (2000). Psychologie der Gruppe. Weinheim;München: Juventa-Verl.

Das Bildungswerk des Verbandes der bayerischen Bezirke im Kloster Irsee.

Systematische Risikoeinschätzung in der Psychiatrie

Wie kann man Aggression und Gewalt auf psychiatrischen Stationen wirksam minimieren? Eine einfache Methode haben nun die beiden Pflegeforscher Chris Abderhalden und Ian Needham zusammen mit Kollegen im British Journal of Psychiatry vorgestellt.

Brøset-Violence-Checklist Die Forscher untersuchten die Wirkung einer systematischen Risikoeinschätzung mit der Brøset-Violence-Checklist (BVC-CH) auf die Häufigkeit von aggressivem Patientenverhalten und Zwangsmaßnahmen. Bei dieser Checkliste fließen neben beobachtbarem Patientenverhalten (verwirrt, reizbar, laut, verbales Drohen, körperliches Drohen oder Angriff auf Gegenstände) vor allem auch die subjektive Risikoeinschätzung in die Beurteilung mit ein. An der relativ aufwändigen Studie nahmen 14 akutpsychiatrische Stationen der Deutschschweiz teil. Sie wurden drei Gruppen zugeordnet. Fünf Stationen wollten das Instrument von sich aus einführen (Präverenzstationen). Die restlichen neun Stationen wurden per Zufall zu Interventionsstation (vier Stationen) oder Kontrollstation (fünf Stationen).

Die Intervention war nun relativ einfach. Zunächst wurde für drei Monate das Ausmaß der Aggression und Zwangsmaßnahmen auf allen Stationen ermittelt. Danach wurde auf den Interventions- und Präverenzstationen die strukturierte Risikoeinschätzung mit dem BVC-CH eingeführt. Die Pflegenden der Station sollten alle Patienten in den ersten drei Tagen nach Aufnahme jeweils vormittags und nachmittags mit dem BVC-CH bezüglich ihres Aggressionsrisikos einschätzen. Je nach erreichter Punktzahl sollten entsprechende Interventionen ausgewählt und dokumentiert werden. Während der dreimonatigen Interventionsphase wurde auf allen beteiligten Stationen weiterhin die Aggressionsvorkommnisse und Zwangsmaßnahmen erfasst.

Rückgang von Aggression und Gewalt Die Untersuchung führt zu interessanten Ergebnisse. Alle Stationen, die den BVC-CH systematisch verwendeten zeigten einen deutlichen Rückgang von „schwerer Aggression“, von „gewaltsamen körperlichen Übergriffen“ und von „Zwangsmaßnahmen“. Am ausgeprägtesten war der Effekt für die Präverenzstationen.

Die Intervention mit dem BVC-CH beruht auf drei Teilaspekten:

  1. Systematische Risikoeinschätzung: Jeder Patient, der auf der Station aufgenommen wird, wird bezüglich seines Aggressionsrisikos eingeschätzt, um die Situation möglichst frühzeitig wieder entspannen zu können.
  2. Geplantes Vorgehen: Je nach Einschätzung des Patienten erfolgt eine pflegerische oder medizinische Maßnahme, um das Aggressionsrisiko zu minimieren. Der BVC-CH bietet den Pflegenden dazu auch einen Katalog möglicher Maßnahmen an, wie z. B. Spaziergang, entspannendes Gespräch o.ä.
  3. Besprechung im Team: Bei einem erheblichen Risiko für ein aggressiven Verhaltens, weist der BVC-CH darauf hin, dass die entspannenden Maßnahmen im Team oder sogar im interdisziplinären Team besprochen werden müssen. Die führt zu einem gut überlegten Handeln.

Auch wenn man mit dieser Untersuchung nicht sagen kann, was genau wirkt, so ist es doch interessant, dass mit diesen relativ einfachen Interventionen, die auch in unserem PAIR-Training zur Aggressionshandhabung ausführlich vorgestellt wird, Aggression und Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Stationen deutlich reduziert werden können. Allerdings werden mit dieser Methode auch viele Patienten unnötigerweise eingeschätzt, da die allermeisten Patienten in psychiatrischen Stationen sich nicht aggressiv verhalten.

 

Literatur

Abderhalden, C., Needham, I., Dassen, T., Halfens, R., Haug, H.-J., & Fischer, J. E. (2008). Structured risk assessment and violence in acute psychiatric wards: randomised controlled trial. The British Journal of Psychiatry, 193(1), 44–50.