Petition für eine Pflegereform

img_2024Die Pflege muss an die Hochschulen. Doch noch fällt es vielen schwer zu verstehen, warum man für den Beruf ein Studium brauchen soll. Kein Wunder, sieht man die professionellen Pflegepersonen doch vielfach nur bei einfachen pflegerischen Tätigkeiten wie Körperpflege oder Essen eingeben. Tätigkeiten, die auch Laien tun, wenn sie zuhause einen Familienangehörigen pflegen.

Expertenwissen in der Pflege

Pflegende tun mehr, als das was man sieht. Pflegende beurteilen Risiken, wie die Suizidgefährdung eines Patienten. Sie begleiten Menschen in schweren Lebenskrisen und entwickeln Konzepte zur Förderung von Selbstständigkeit im Alltag. Doch die Pflege ist eine sehr große Berufsgruppe, mit sehr unterschiedlichen Aufgabenfeldern. Und nicht alle Pflegende können alles können. Daher entwickeln sich, wie in vielen Berufen, Experten für spezifische Konzepte.

In fast allen Krankenhäusern gibt es inzwischen Wundexperten, zunehmend werden Experten für Demenzerkrankungen ausgebildet und in der Psychiatrie gibt es seit über 20 Jahren eine Weiterbildung zum Experten für psychiatrische Pflege.

Hochschul-Bildung für Pflege

Der Bedarf nach Pflegeexperten steigt weiter. Zusätzliche Aufgaben für die psychiatrische Pflege werden hier bereits diskutiert. Seit einigen Jahren gibt es an der Fachhochschule Bielfeld den Studiengang „Psychische Gesundheit/Psychiatrische Pflege (B.A.)“ und bundesweit entstehen jährlich neue Studiengänge. Die Nachfrage nach akademisch ausgebildeten Experten ist groß.

In Österreich wird die Gesundheits- und Krankenpflege daher bis 2024 komplett an die Fachhochschulen verlagert. Dies entspricht, nebenbei bemerkt, internationalem Standard.

Neue Pflegebildung für Deutschland

Auch die deutsche Bundesregierung plant eine Reform der Pflegeausbildung. Mit der Einführung einer generalistischen Pflege, werden die Altenpflege, die Gesundheits- und Krankenpflege und die Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu einem gemeinsamen Pflegefachberuf zusammengeführt. Außerdem soll der Übergang zwischen Berufsausbildung und Studium erleichtert werden. Doch seit einigen Monaten ist die ambitionierte Reform ins Stocken geraten.

Für alle, die die Reform unterstützen wollen, gibt es jetzt eine Petition. Wer noch weitere Argumente sucht wird hier fündig.

Direkt zur Petition: „Die generalistische Pflegeausbildung jetzt!

Die Angst des Piloten vorm Psychiater

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Vor ziemlich genau einem Jahr stürzte eine Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ab. Kurz nach dem Unglück, bei dem 150 Menschen ums Leben kamen, wurde bekannt, dass der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich gegen den Berg geflogen hatte. Er litt an einer Depression und wollte sich offenbar suizidieren. Das Unglück führte zu einer breiten öffentlichen Diskussion über die Gefährlichkeit psychischer Erkrankungen und zu Überlegungen, Piloten mit psychischer Erkrankung die Flugerlaubnis zu entziehen. Immer wieder wird über psychische Erkrankungen in Zusammenhang mit Gewalt berichtet. Man denke nur an die Attentate gegen Lafontaine oder Schäuble oder den Amoklauf eines Jugendlichen in Winnenden.

Psychische Erkrankung und Gewalt, ist offenbar eine Verbindung, die sich einprägt. So verfestigen sich Vorurteile, die zur Stigmatisierung psychischer Erkrankungen beitragen. Doch gerade diese Stigmatisierung psychischer Erkrankungen behindert das Aufsuchen psychischer Hilfen und die Inanspruchnahme der Therapie behindert [1]. Was überlegt sich ein Pilot, der eine psychische Erkrankung bei sich befürchtet, wenn er weiß, dass ihn die Diagnose seine Flugerlaubnis kosten könnte? Die Gefahr ist groß, dass er nicht zum Arzt geht, um der Diagnose einer psychischen Erkrankung zu entgehen.

Nach der Durchsicht der aktuellen Forschungsliteratur kommen Maier und Kollegen im Nervenarzt 1/2016 [2] zum Schluss, dass ein erweiterter Suizid bei einer Depression extrem selten ist. Wenn es zu Gewalttaten in Verbindung mit psychischen Erkrankungen kommt, dann ist häufig Alkohol Spiel. Unter Alkohol werden aber auch gesunde Menschen häufiger aggressiv. Ein weiterer „Risikofaktor“ scheint die Persönlichkeit zu sein. Es gibt Menschen, die eher zu gewalttätigem Verhalten neigen als andere. Auch das sieht man bei Gesunden. Zu den eindeutigen „Risikofaktoren“ für Gewaltverhalten bei psychischen Erkrankungen zählt auch das männliche Geschlecht. Am deutlichsten ist der Zusammenhang zwischen Erkrankung und Gewaltverhalten noch bei Menschen, die einer schizophrenen Störung leiden. Wahngedanken, die zu einer wütend-gereizten Stimmung führen, führen häufiger zu Gewaltverhalten. Allerdings bessert sich dies sobald die betreffenden Personen sich psychiatrisch behandeln lassen.

Die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, reduziert also das Risiko für Gewaltverhalten bei psychischen Erkrankungen. Gleichzeitig behindert deren Stigmatisierung das Aufsuchen professioneller Hilfen. Ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer ausbrechen kann. Wenn wir Gewaltverhalten von Menschen mit psychischen Erkrankungen reduzieren wollen, sollten wir uns daher auch über deren Ent-Stigmatisierung Gedanken machen.

Literatur

  1.  Corrigan, P. (2004). How Stigma Interferes With Mental Health Care. American Psychologist, 59(7), 614–625. http://doi.org/10.1037/0003-066X.59.7.614
  2. Maier, W., Hauth, I., Berger, M., & Saß, H. (2016). Zwischenmenschliche Gewalt im Kontext affektiver und psychotischer Störungen. Der Nervenarzt, 87(1), 53–68. http://doi.org/10.1007/s00115-015-0040-6

Freiheitseinschränkungen und Zwangsmaßnahmen aus rechtlicher Sicht

CoverScherrZwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Pflege kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Man kann sie als ethisches Problem einer humanen Psychiatrie diskutieren, die wissenschaftliche Evidenz ihrer Anwendung klären oder aus juristischer Sicht darstellen, was in welcher Form erlaubt ist und was nicht. Letzteres macht Judith Scherr in ihrem Buch über den Umgang mit Zwangsmaßnahmen. Die Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht arbeitet in der Rechtsabteilung der Alexianer GmbH, einem der größten Träger für Krankenhäuser und soziale Einrichtungen in Deutschland. Als Dozentin am dortigen Institut für Fort- und Weiterbildung ist sie mit rechtlichen Fragen der Praxis vertraut.

Übersichtlicher Aufbau

In acht Kapitel beschreibt Judith Scherr die Rechtslage für Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken, Allgemeinkrankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe. Zunächst geht sie auf die allgemeinen straf- und zivilrechtlichen Grundlagen ein. Sie beschreibt die relevanten Artikel des Grundgesetzes, die Bedeutung der EU-Menschenrechtskonvention sowie der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Grundlagen schließen mit einer Darstellung des Betreuungsrechts, dem Verfahren der Unterbringung und der Zwangsbehandlung im Rahmen einer Betreuung. In weiteren Kapiteln stellt sie die Besonderheiten von Zwangsmaßnahmen in somatischen Kliniken, Psychiatrien und Pflegeeinrichtungen nach SGB XI dar. Den Abschluss bildet ein Überblick zu Vorsorgeinstrumenten, wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Judith Scherr bearbeitet damit ein weites Feld. Lediglich die Besonderheiten bei Behinderten, Kindern und Jugendlichen sowie die rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern im Maßregelvollzug schließt sie von ihrer Darstellung aus.

Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie

Das umfangreichste Kapitel ihres Buches behandelt die zwangsweise Unterbringung und Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Judith Scherr beschreibt darin den rechtlichen Rahmen für die zivilrechtliche Unterbringung im Rahmen einer Betreuung (§ 1906 BGB) sowie der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den jeweiligen Ländergesetzen, die meist als PsychKG bekannt sind. Um die Unterschiede der Landesgesetze deutlich zu machen, stellt sie immer wieder Formulierungen der verschiedenen PsychKG’s nebeneinander. Auch bei den freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, wie Fixierung oder Ausgangsbeschränkung, weist sie auf Unterschiede der jeweiligen Landesgesetze hin.

Ein strukturierter, juristischer Überblick

In ihrem über 200 Seiten dicken Buch gibt Judith Scherr einen guten Überblick zu den relevanten rechtlichen Regelungen für Zwangsmaßnahmen. Naturgemäß fällt dieser meist eher überblicksartig aus. Die, aus psychiatrischer Sicht, wichtige Frage der Einwilligungsfähigkeit stellt sie auf einer knappen Seite dar. Sie konzentriert sich in der Aussage:

„Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite, also die Risiken, der ärztlichen Maßnahme erfassen kann. Der Patient muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, Wissen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen“ (Scherr 2015, S. 18).

Trotz dieser oft juristisch komprimierten Sprache bietet das Buch einen verständlichen Überblick. Durch einige Fallbeispiele und Musterformulare wird die Anwendung der Inhalte anschaulich. Die Gegenüberstellung der jeweiligen Landesgesetze bietet einen interessanten Vergleich. Ein etwas ausführlicheres Stichwortverzeichnis und Querverweise im Text hätten dem Buch gut getan. Dafür erleichtert das detaillierte Inhaltsverzeichnis das Auffinden bestimmter Themen.

Fazit: Als erste Einführung in die komplexe Rechtslage ist das Buch für Mitarbeiter in psychiatrischen Einrichtungen zu empfehlen.

Judith Scherr: Umgang mit Zwangsmaßnahmen in Krankenhäusern, Psychiatrien und Pflegeeinrichtungen. Deutsche Krankenhaus Verlagsgesellschaft, Düsseldorf 2015, ISBN 978-3-945251-47-8, 213 Seiten, 39,90 Euro.

 

Psychiatrische Pflege auf dem DGPPN-Kongress 2015

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) veranstaltet von 25. bis 28. November 2015 wieder ihren jährlichen Kongress in Berlin. Seit 2011 gibt es in der wissenschaftlichen Fachgesellschaft auch ein Referat „Psychiatrische Pflege“, das zusammen mit dem Referat „Gesundheitsfachberufe“ einen Programmschwerpunkt erstellt.

Dieses Jahr werden 13 Symposien, ein Diskussionsforum im Rahmen der Jungen Akademie und 10 Pflegeworkshops angeboten. Besonders spannend sind für mich das Praxisbeispiel einer Ethikberatung in einer psychiatrischen Klinik, das Ausloten der Verbindung zwischen psychiatrischer Pflege und Psychotherapie und die Diskussion über Offene Türen in der Psychiatrie.

Ich freue mich aber auch schon auf den Workshop, den ich am Freitag mit Johannes Kirchhof gestalten werden. Wir wollen darin zwei personenorientierte Ansätze der psychiatrischen Pflege vergleichen. Das Pflegemodell von Phil Barker und eine besondere Form der verstehensorientierten Pflegediagnostik.

Eine Übersicht zum Pflegeprogramm bietet der Flyer: DGPPN 2015 Pflegeflyer